Eine kürzlich an der Universität St. Gallen (Law School) erschienene Forschungsarbeit analysiert die Implikation von Schweizer Banken und Finanzintermediären, darunter Anwälten, in die Off-Shore-Aktivitäten der panamesischen Anwaltskanzlei Mossack Fonseca (Mossfon) im Lichte der sogenannten "Panama Papers". Konkret ging es insbesondere um die Gründung von zahlreichen "Briefkastenfirmen" bzw. nicht operativen Sitzfirmen sowie um treuhänderisch (bzw. über "Strohmänner") eröffnete und verwaltete Konten, Stiftungen und Gesellschaften ohne Deklaration der jeweils wirtschaftlich Berechtigten. Für die Vermittlung von (wirtschaftlich berechtigten) verdeckten Endkunden arbeitete Mossfon mit mehr als 14'000 "Intermediären" zusammen, darunter vielen Anwälten und Vermögensverwaltern, die zum grössten Teil aus Hongkong, Grossbritannien, der Schweiz und den USA stammten (vgl. Zoran Culjak, "Panama Papers" - Strafrechtliche und strafprozessuale Fragen mit besonderem Augenmerk auf die Grenzen des schweizerischen Anwaltsgeheimnisses, Masterarbeit Universität St.Gallen 2018, S. 4-11, zit. Untersuchung Panama Papers).
Die St. Galler Untersuchung erhellt Mossfons Verwicklungen in zahlreiche internationale Finanzskandale mit diversen "Politically Exposed Persons" (PEP), etwa beim dubiosen Firmennetzwerk von Cristina und Nestor Kirchner (Argentinien/USA-Nevada), bei den verdächtigen Eisenerz-Deals von Beny Steinmetz mit dem guineischen Diktator Lansana Conté (Guinea/Brasilien/Israel), bei der Beteiligung des zurückgetretenen isländischen Premierministers Sigmundur Gunnlaugsson an einer Gesellschaft auf den British Virgin Islands, bei den Korruptionsskandalen betreffend Petrobras und weitere beteiligte Firmen und Politiker (Brasilien), beim Korruptionsskandal um den ehemaligen pakistanischen Premierminister Nawaz Sharif (dubiose Immobiliengeschäfte in Grossbritannien), oder bei den Beteiligungen eines engen Freundes des russischen Präsidenten Vladimir Putin (nämlich des Musikers Sergej Roldugin) an Offshore-Gesellschaften, über die (gemäss den "Panama Papers" und darauf gestützen Medienberichten) hunderte Mio. USD aus Russland weggeschafft worden seien. Weitere Endkunden von Mossfon waren z.B. in Schmiergeldskandale verwickelte ehemalige Siemens-Manager, der ehemalige deutsche Geheimagent Werner Mauss, Angehörige des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, Angehörige von hohen Funktionären der chinesischen KP oder der ehemalige britische Ministerpräsident David Cameron (vgl. Untersuchung Panama Papers, S. 15).
Zu den Banken, die besonders intensiv mit Mossfon kooperierten, gehörten namentlich eine luxemburgische, zwei Schweizer Privatbanken, zwei Schweizer Grossbanken, zwei britische Finanzinstitute sowie eine französische und eine isländische Bank. Auffällig häufig betroffen waren Zweigniederlassungen diverser Banken in Luxemburg und auf den British Channel Islands. Sehr intensive und qualifizierte Kontakte zu Mossfon unterhielt namentlich auch die Deutsche Bank (vgl. S. 11 f.).
Laut Untersuchung war ein Schweizer Bürger als umtriebiger Juniorpartner bei Mossfon tätig. Nach Angaben der Eidgenössischen Steuerverwaltung können sodann rund 450 Endkunden (Personen und Gesellschaften) mit Sitz in der Schweiz mit den "Panama Papers" in Verbindung gebracht werden. Darunter finden sich mehrere hohe Funktionäre der FIFA (privatrechtlicher Verein mit Sitz in Zürich), etwa der aktuelle FIFA-Präsident Gianni Infantino (vgl. Untersuchung Panama Papers, S. 15 f.). Diverse Schweizer Finanzinstitute waren nicht nur in grossem Stil als Vermittler tätig, sondern führten teilweise auch direkt Bankkonten für verdeckte Mossfon-Endkunden (vgl. S. 15-18). Auch einige Schweizer Anwälte (insbesondere aus Genf und Zürich) tauchen in den "Panama Papers" als Vermittler und Verwalter von Offshore-Vehikeln auf oder als einschlägige Berater und Rechtsgeschäftsplaner (etwa bei Gründungen von Sitzgesellschaften).
Gemäss einer Stellungnahme der Meldestelle des Bundes für Geldwäschereiverdachtsfälle (MROS) haben seit den Medienberichten über die "Panama Papers" die Geldwäscherei-Verdachtsmeldungen stark zugenommen. Die Eidgenössische Finanzmarktausicht (FINMA) hat sodann bankenrechtliche Aufsichtsmassnahmen getroffen, indem sie bei ca. 20 Schweizer Banken vertiefte Abklärungen anordnete. Gegen die Gazprombank (Schweiz) hat sie wegen schweren Verstössen gegen das GwG (besonders im PEP-Fall Roldugin) sogar aufsichtsrechtliche Zwangsmassnahmen ergriffen (vgl. Untersuchung Panama Papers, S. 16-18).
Im Bereich der Vermittlung und besonders der Verwaltung von Offshore-Konstrukten deutet sich gemäss der St. Galler Untersuchung (gestützt auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtes und die neuere Literatur) eine deutliche Tendenz ab, den Schutz des Anwaltsgeheimnisses zu verneinen (besonders bei reinen "Briefkastenfirmen" und treuhänderischer Organtätigkeit) oder zumindest deutlich zu begrenzen. Die Rechtslage muss hier allerdings ‒ mangels klarer gesetzlicher Regelungen ‒ als vage und unübersichtlich bezeichnet werden, weshalb sich eine anwaltliche Tätigkeit mit Geheimnisprivileganspruch in diesen Bereichen zunehmend als heikle Gratwanderung erweist:
Gesellschaftsgründungen und andere Dienstleistungen, die sich auf die blosse standardisierte Erledigung von Formalitäten für "Briefkastenfirmen" und Scheinverwaltungen beschränken, fallen nicht unter den Schutz des Anwaltsgeheimnisses (vgl. Untersuchung Panama Papers, S. 38 f.). Auch bei Global- und Mischmandaten mit gewissen rechtsberatenden oder rechtsgeschäftlichen Elementen (z.B. Gesellschaftsgründung) einerseits und deutlichen Elementen der Vermögensverwaltung, Gesellschafts-Organtätigkeit, Vermögens- und Steuerberatung, Finanzproduktvermittlung oder Banken-Compliance anderseits, besteht eine hochproblematische Rechtsunsicherheit, die nach gesetzgeberischen Klärungen ruft (vgl. S. 47).
Bei der besonders folgenschweren Frage, welche anwaltlichen Tätigkeiten dem Geldwäschereigesetz (GwG) unterstehen und zu entsprechenden strafbewehrten Sorgfalts- und Meldepflichten führen, erweist sich die Rechtslage als nicht viel klarer: De lege lata gelten die anwaltliche Vermittlung, Gründung und Verwaltung von Offshore-Konstrukten zwar (per se) noch nicht als finanzintermediäre Tätigkeiten. Grosse Vorsicht ist jedoch geboten, wenn das "Startkapital" für die Gründung einer entsprechenden Sitzgesellschaft oder Stiftung über ein Konto des beteiligten Anwalts transferiert wird oder wenn dieser (nach dem Gründungsakt) die Gesellschaftsanteile in Form von Effekten (z.B. Aktien) über längere Zeit selber aufbewahrt. Als Finanzintermediäre gelten grundsätzlich auch Anwälte, die als Organe einer Offshore-Sitzgesellschaft bzw. eines Trusts (ohne eigentliche "kaufmännische" operative Wirtschaftstätigkeit) deren Vermögen bloss treuhänderisch (d.h. nach den Anweisungen des wirtschaftlich Berechtigten) verwalten bzw. ihren Zahlungsverkehr treuhänderisch organisieren. Dies kann im Einzelfall auch auf Immobiliengesellschaften zutreffen (vgl. Untersuchung Panama Papers, S. 42-45).
De lege ferenda dürfte (nicht zuletzt aufgrund der GAFI-Empfehlungen im die Schweiz betreffenden vierten Länderbericht von 2016) mittelfristig jede Mitwirkung von Anwälten bei der Errichtung oder Verwaltung von Offshore-Vehikeln als GwG-relevant eingestuft werden, insbesondere auch die ("rechtsgeschäftliche" und "rechtsberatende") Gründung von Offshore-Sitzgesellschaften.
Auch hier drängen sich gesetzgeberische Klärungen auf, zumal sich alle Anwälte, die in der finanzintermediären "Grauzone" tätig sind, einem schweren Dilemma von beruflichen Rechtspflichten aussetzen: Wenn sie Verdachtsgründe für Geldwäscherei nicht an die MROS melden, droht ihnen eine Strafverfolgung nach Art. 37 i.V.m. Art. 9 GwG (oder gar wegen Beihilfe zur Geldwäscherei). Wenn sie hingegen den Verdacht melden, droht ihnen Strafe wegen einer möglichen Verletzung ihres Berufsgeheimnisses (Art. 321 StGB) (vgl. Untersuchung Panama Papers, S. 45-47).
Umso mehr erstaunt es, dass einzelne Schweizer Anwälte offenbar weiterhin in der genannten "Grauzone" der Legalität als Offshore-"Intermediäre" tätig sind: Ende Juni 2018 (nach Abschluss der St. Galler Untersuchung und mehr als zwei Jahre nach Publikation der Panama Papers) sind weitere 1,2 Millionen E-Mails, Verträge und Firmendokumente von Mossfon aufgetaucht (sog. "Panama Papers 2"). Gemäss den dokumentierten Berichten eines international vernetzten Kollektivs investigativer Journalisten (ICIJ) ergebe sich daraus, dass einige Schweizer Anwälte, Vermögensverwalter und Treuhänder (insbesondere aus dem Kanton Genf), die schon über Mossfon zahlreiche Offshore-Vehikel betreuten, unterdessen mit einer anderen "einschlägigen" panamesischen Kanzlei im bisherigen Stil weiter ihre Geschäfte tätigen. Man darf darauf gespannt sein, ob und wie Politik, Strafbehörden und Berufsverbände auf entsprechende Informationen reagieren werden.
8. November 2018 / © Prof. Dr. Marc Forster
2. Nachtrag vom 10. September 2020:
Die Politik ist unterdessen wieder eingeknickt: Zwei im Parlament vertretenen Genfer Anwälten ist es (Anfang September 2020) gelungen, den Nationalrat zum Nichteintreten auf die "Lex Panama" zu bewegen (mit 107:89 Stimmen). Damit drohen dem Schweizer Dienstleistungs- und Finanzplatz und der überwältigenden Mehrheit der seriös arbeitenden Anwältinnen und Anwälte erhebliche Reputationsschäden, bloss weil ein paar "schwarze Schafe" unter ihnen weiter ungestört hochdubiose Offshore-Vehikel betreiben möchten. Die Schweizer Politik erweist sich als vergesslich und wenig lernfähig: Sie verhält sich wie vor 15 Jahren nach Ausbruch des Fiskalstreites USA-Schweiz, der bekanntlich zur Abschaffung des Bankgeheimnisses (im Fiskalverkehr mit dem Ausland) geführt hat. Politische und wirtschaftliche Selbstdemontage auf Druck von Partikulärinteressen (mit aggressiver Lobby) scheint eine typisch schweizerische Spezialität zu sein. Anders gesagt: Bei uns bestimmen die Böcke über die Gartenpflege.
1. Nachtrag vom 1. November 2019:
Die Politik hatte zunächst reagiert: Am 26. Juni 2019 verabschiedete der Bundesrat eine Botschaft (samt Entwurf) zur Änderung des GwG (BBl 2019 5451, sog. "Lex Panama"). Danach würden künftig auch für Anwälte gesetzliche Sorgfaltspflichten gelten, wenn sie als sogenannte "Beraterinnen" und "Berater" Dienstleistungen erbringen im Zusammenhang mit der Gründung, Führung oder Verwaltung von Sitzgesellschaften und Trusts. Sie wären sogar (neu) unter die geldwäschereigesetzliche Meldepflicht gefallen, wenn sie in einer (nicht berufstypischen) Geschäftstätigkeit als "Berater" Finanztransaktionen ausführen (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. c, Art. 8b und 8c, Art. 9 Abs. 1ter, 1quater und Abs. 2, Art. 9b Abs. 3, Art. 10a Abs. 5, Art. 11a Abs. 1-3, Art. 15, Art. 23 Abs. 5, Art. 30 Abs. 2 lit. a, Art. 32 Abs. 3, Art. 34 Abs. 1-2 und Art. 38 E-GwG; BBl 2019 5555-5565).