A) Falsch ist zunächst die Annahme, Aufrufe zu terroristischer Gewalt auf Facebook und ähnlichen sozialen Netzwerken seien nicht strafbar: Anders als die öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder Gewalt
(Art. 259 StGB) oder (bei den meisten Tatbestandsvarianten) der Rassismustatbestand (Art. 261 StGB) setzt der Straftatbestand der Unterstützung einer kriminellen Organisation (Art. 260ter Ziff. 1
Abs. 2 StGB) keine "öffentlichen" Aeusserungen voraus.
Analoges gilt für das am 1.1.2015 (dringlich) in Kraft gesetzte
Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen "Al-Qaïda" und "Islamischer Staat" sowie verwandter Organisationen (SR 122). Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder
Geldstrafe bestraft, wer sich auf dem Gebiet der Schweiz an einer der genannten Gruppierungen oder Organisationen beteiligt, sie personell oder materiell unterstützt, für sie oder ihre Ziele
Propagandaaktionen organisiert, für sie anwirbt oder ihre Aktivitäten auf andere Weise fördert.
B) Unzutreffend ist auch die Ansicht, die Urheber strafbarer anonymer Aeusserungen auf privaten oder öffentlichen Internetseiten könnten durch die Strafverfolgungsbehörden leicht identifiziert werden: Wenn z.B. Urheber von Facebook-Postings oder von
Aeusserungen auf öffentlich zugänglichen Webseiten mit den Inhabern der Web-Accounts identisch sind oder wenn die Urheber der Posts sich nicht anonym äussern, können die Strafverfolgungsbehörden die Verdächtigen regelmässig identifizieren. Bei
allen anonymen Aeusserungen auf Netzwerken hingegen, deren Daten (IP-Histories usw.) in den USA gespeichert werden (z.B. Facebook, Google usw.),
ist es den Schweizer (und anderen
nichtamerikanischen) Strafverfolgungsbehörden aus technischen Gründen nicht möglich, die Urheber zu eruieren. Dafür braucht es mühsame Rechtshilfegesuche an die USA, welche die Strafverfolgung sehr erschweren (vgl. dazu meinen
unten angefügten Aufsatz in der Festschrift zum Schweizerischen Juristentag 2015).
C) Naiv ist schliesslich auch der
Glaube, die Geheimdienste (oder Strafverfolgungsbehörden) hätten die Kommunikation der terroristischen Attentäter von Paris leicht überwachen können: Verschlüsselte mobile
Internetkommunikation (z.B. Internettelefonie, Whatsapp, Skype) kann derzeit nur mittels "Staatstrojanern" bzw. Spezialsoftware (GovWare) überwacht werden, die zudem auf die Kommunikationsgeräte
von verdächtigen Personen (zuerst) eingeschleust werden müssen. Dies ist bei hunderten bzw. tausenden von verdächtigen Personen im präventiven Vorfeld von
Attentaten praktisch gar nicht
möglich; zudem
wäre es mit enormen Kosten
verbunden.
Daraus erklärt sich auch, weshalb nicht einmal der französische Geheimdienst in der Lage war, die Pariser Attentate und die damit verbundene Kommunikation der Täter und Komplizen (sehr
wahrscheinlich über verschlüsseltes mobiles Internet) zu überwachen. Die Gegner der in der Schweiz hängigen Gesetzesrevision zu den Ueberwachungsmassnahmen scheinen diese Zusammenhänge entweder
noch nicht zu kennen oder nicht wahrhaben zu wollen.
Prof. Dr. Marc Forster / 17.
November 2015
Nachtrag vom 19.11.15: Gemäss den Medienmitteilungen der
Pariser Staatsanwaltschaft haben die Attentäter noch bis unmittelbar vor den Anschlägen vom 13.11.15 miteinander über Mobiltelefone kommuniziert. Aufgrund der
nachträglich ermittelten GPS-Daten bzw. der Antennennstandorte eines in der Nähe des Bataclan sichergestellten Handys konnte die Polizei die konspirative Wohnung in Saint-Denis ausfindig machen,
welche am 18.11.15 von der Polizei gestürmt wurde (mit zwei getöteten und acht verhafteten Terrorverdächtigen).