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Neue Entwicklungen im FIFA-Korruptionsskandal -- Hintergrund der Verhaftungen und Auswirkungen des neuen Korruptionsstrafrechts


In einem Interview vom 27.05.2015 mit dem Tagesanzeiger.ch/Newsnet zu den Verhaftungen von sieben hochrangigen FIFA-Funktionären und zur Aktenbeschlagnahmung am FIFA-Sitz in Zürich durch die Bundesanwaltschaft (BA) äussert Prof. Mark Pieth sein Erstaunen darüber, dass sich die Schweizer Justiz von den USA habe "einspannen" lassen. Es handle sich um eine "Kombination aus der schweizerischen und der US-Justiz". Die "Initiative" sei dabei "von den USA" ausgegangen. -- Dieser Einschätzung ist teilweise zu widersprechen:

 

Die BA ist nicht erst auf Initiative der USA (und schon gar nicht aufgrund des amerikanischen Festnahmeersuchens gegen FIFA-Funktionäre) aktiv geworden. Die USA verfolgen (laut Medienmitteilung ihres Justizministeriums) primär jahrzehntelange Bestechung von FIFA-Funktionären bei der Vergabe von Medien-, Vermarktungs- und Sponsoringrechten. Das Auslieferungsersuchen (präziser: das Festnahmegesuch) an die Schweiz betrifft diese Korruptionsvorwürfe der US-Justiz. Separat dazu hatte die BA aber bereits eine eigene (Schweizer) Strafuntersuchung eingeleitet wegen mutmasslichen Straftaten im Zusammenhang mit der Vergabe der WM-Turniere 2018 an Russland und 2022 an Qatar. Die FIFA hat diesbezüglich am 18. November 2014 selber Strafanzeige bei der BA eingereicht. Nach Medienmitteilungen der BA gehe es hier primär um ungetreue Geschäftsbesorgung zum Nachteil der FIFA. Zutreffend ist, dass die US-Strafverfolgungsbehörden und die BA ihre separaten Strafuntersuchungen koordinieren und sich (im Rahmen der völkerrechtlichen Regelungen) gegenseitig Rechtshilfe gewähren (insbes. Auslieferungen, Kontensperren, Herausgabe von Geschäfts- und Bankunterlagen).

 

Das neue Korruptionsstrafrecht (mit der vorgeschlagenen Neuregelung der Privatkorruption als Offizialdelikt des StGB), welches ab nächster Woche im Parlament beraten wird, dürfte für die genannten Untersuchungen in den USA und der Schweiz keine Auswirkungen mehr haben: Für die Strafbarkeit sind die Strafnormen im Zeitpunkt der untersuchten Delikte massgeblich. Die beidseitige Strafbarkeit (als Voraussetzung für eine allfällige Auslieferung oder Aktenherausgabe an die USA) bestimmt sich grundsätzlich nach den geltenden Strafnormen im Zeitpunkt des Rechtshilfeersuchens. Das neue Recht wird insofern zu spät kommen.

Prof. Dr. Marc Forster, 27. Mai 2015 
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Nachtrag zum neuen Privatkorruptionsstrafrecht:
In seinem Urteil 1C_143/2016 vom 2. Mai 2016 (BGE-Publikation) hat das Bundesgericht bestätigt, dass bei Privatbestechung das Auslieferungserfordernis der beidseitigen Strafbarkeit gestützt auf die (damals noch anwendbaren) Bestimmungen
des  UWG  (Art. 4a) grundsätzlich erfüllt war. Das Strafantrags-Erfordernis des UWG liess die beidseitige Strafbarkeit nicht dahinfallen. Knapp zwei Monate nach diesem Urteil, nämlich am 1. Juli 2016, sind die neuen StGB-Bestimmungen über Privatkorruption in Kraft getreten (Art. 322octies und novies StGB). Diese sind nun zwar als Offizialdelikte ausgestaltet, aber lediglich als Vergehen, sodass Geldwäscherei an Privatkorruptionsgeld weiterhin nicht strafbar ist. Wenn die Bestechungshandlungen (wie meist üblich) nicht in der Schweiz erfolgen, besteht auch praktisch keine Strafverfolgungszuständigkeit der schweizerischen Justiz. Ein weiteres schwer verständliches Schlupfloch findet sich auch noch in Art. 322decies Abs. 1 lit. a StGB: Wenn die FIFA (oder eine andere "gefährdete" Organisation oder Gesellschaft) die Privatbestechung seiner Mitarbeiter und Funktionäre "vertraglich genehmigt", ist diese straflos...

Prof. Dr. Marc Forster, 5. Oktober 2016 ©