In letzter Zeit häufen sich Stellungnahmen der Bundesan-waltschaft (BA), die auf eine juristische Fehleinschätzung von Art. 260ter StGB (Strafbarkeit
der Unterstützung bzw. Beteiligung an einer kriminellen Organisation) schliessen lassen. Schon an einer Medienkonferenz von Ende August 2014 liess der Bundesanwalt verlauten,
die «blosse Mitgliedschaft» bei einer mafiösen Organisation sei in der
Schweiz «nicht strafbar», weshalb
bei italienischen Rechtshilfeersuchen an die
Schweiz Probleme (mit dem Rechtshilfeerfordernis der beidseitigen Strafbarkeit) entstünden. Laut
Medienberichten vom 4. und 5. Januar 2015 («NZZ am Sonntag») doppelte die BA kürzlich im gleichen Sinne nach: Laufende Untersuchungs- verfahren wegen «blosser Mitgliedschaft» würden künftig von
der BA automatisch eingestellt. Ein Strafverfahren werde nur noch durchgeführt, «wenn Hinweise auf konkrete Unterstützungshandlungen für eine mafiöse Organisation» vorliegen («Tages-Anzeiger» vom 5. Januar 2015, S. 3). Laut Bundesanwalt Michael Lauber reiche «die reine Mitgliedschaft bei einer kriminellen Organisation für eine Verurteilung nicht aus».
Darin sei sich sich «die herrschende Lehre einig». Es brauche den «Nachweis, dass die Beschuldigten die Organisation konkret in ihrer
kriminellen Aktivität unterstützt haben» (http://www.nzz.ch/nzzas/nzz-am-sonntag/wir-machen-keine-abenteuer-mehr-1.18454252).
Dieser mehrfach in den Medien verbreitete Standpunkt
der BA erscheint juristisch und kriminalpolitisch sehr bedenklich und lässt auf eine grundsätzliche Fehleinschätzung der Rechtslage schliessen.
Die Beteiligung an einer mafiösen Organisation (Art.
260ter Ziff. 1 Abs. 1 StGB) ist keineswegs eine Art «geringere» Form der organisierten Kriminalität. Eher trifft das Gegenteil
zu: Ein Mitglied einer kriminellen Organisation zu sein, ist mindestens so strafwürdig, wie die (blosse) punktuelle Unterstützung (Art. 260ter
Ziff. 1 Abs. 2 StGB) durch einen
aussenstehenden Helfer. Beide Varianten werden denn auch vom Gesetz unter den gleichen
Strafrahmen gestellt. Für
überführte Mafiamitglieder dürfte das konkrete Strafmass in der Regel sogar höher ausfallen als für
(jedenfalls nicht sehr wichtige) blosse Unterstützer. Mir ist kein Strafrechtsexperte bekannt, der nur die konkrete Unterstützung der Mafia, nicht aber die «blosse» Mitgliedschaft als strafbar
ansehen würde. Von einer entsprechenden «herrschenden Lehre» (im Sinne der Ausführungen der BA) kann noch viel weniger die Rede sein.
Wie den neusten Medienberichten indirekt zu entnehmen ist, könnte die irreführende Aussage der BA eine bewusste Provokation sein,
um politische Unterstützung für eine Verschärfung der StPO
zu generieren: Die vorgeschlagenen schärferen Instrumente (Verweigerung der
Verteidigung der ersten Stunde, Verweigerung einer nachträglichen Mitteilung der Telefonüberwachung usw., s.
«Tages-Anzeiger» vom 5. Januar 2015, S. 3)
werfen rechtsstaatliche Bedenken auf und dürften auf politischen Widerstand stossen. «Absurd» (so die Einschätzung von Ex-Staatsanwalt Paolo Bernasconi) sind die
aktuellen Regelungen keineswegs, auch nicht in Fällen mit Mafiabezug und auch nicht vor dem durchaus zutreffenden Hintergrund, dass der rechtsgenügliche
(beweisrechtliche) Nachweis einer Mafia-Mitgliedschaft oft schwierig
ist. Wenig sachgerecht erscheint in dem Zusammenhang auch, dass die BA und Teile der
Medien Einstellungen von Untersuchungen (z.B. mangels ausreichenden Beweisen) offenbar als peinliche «Niederlage» missverstehen, anstatt
sie als eine mögliche gesetzliche Erledigungsvariante von sorgfältigen rechtsstaat- lichen Untersuchungen zu erkennen. Die Mentalität, in heiklen Fällen lieber gar nicht erst anzuklagen,
als einen Freispruch zu «riskieren», ist vom US-amerikanischen kompetitiven Rechtsdenken
und von sachfremdem medialem Druck auf die
BA geprägt und dem schweizerischen Strafverfahrensrecht wesensfremd.
Prof. Dr. Marc Forster, 5. Januar 2015